Pressemitteilung

Infektionen und Stoffwechselkrankheiten können sich gegenseitig begünstigen

Krankheitserreger nutzen auch hormonelle Signalwege im Körper

Rostock/Dresden, Februar 2024 – Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass schädliche Wechselbeziehungen zwischen Virus-Infektionen und Erkrankungen des Stoffwechsels bestehen können. Bestimmte Viren tragen dazu bei, hormonelle Erkrankungen des Stoffwechsels, etwa Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 beziehungsweise Adipositas, auszulösen. Umgekehrt ist es möglich, dass eine bereits bestehende Störung des Stoffwechsels den Verlauf eines Infekts ungünstig beeinflusst. Offensichtlich nutzen die Krankheitserreger auch Signalwege von Hormonen im Körper, etwa jene zur Regulation des Zucker- und Fettstoffwechsels. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) spricht sich deshalb für eine weitere Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Hormonsystemen und infektiösen Erregern aus. Idealerweise soll dies dazu beitragen, häufige, hormonell bedingte Stoffwechselkrankheiten zu verhindern, etwa durch gezielte Impfprogramme. Gleichzeitig könne möglicherweise der Verlauf von Infekten bei bereits Stoffwechsel-Erkrankten durch eine antivirale oder hormonelle Therapie abgemildert werden.

Was Ärztinnen, Ärzte und Betroffene darüber wissen sollten, ist ein Thema auf der Online-Pressekonferenz der DGE am Dienstag, 5. März 2024. Diese findet im Vorfeld des 67. Deutschen Kongresses für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), vom 6. bis 8. März 2024 in der Stadthalle Rostock, statt.

SARS-CoV-2, Enteroviren wie Coxsackie, Influenza-, Herpes-, Epstein-Barr- oder das HI-Virus stehen in Zusammenhang mit neu auftretenden chronischen Erkrankungen des Stoffwechsels nach der eigentlichen Infektion. So zeigen Daten aus der Corona-Pandemie, dass sich etwa durch eine COVID-Erkrankung die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Diabetes mellitus Typ 1 deutlich erhöht. Aber auch andere hormonell aktive Gewebe wie die Nebennieren oder der Hypothalamus können in ihrer Funktion durch den Kontakt mit bestimmten Viren gestört werden.
Umgekehrt deuten zahlreiche epidemiologische Daten auf einen robusten Zusammenhang mit bereits bestehenden Stoffwechselerkrankungen mit der Schwere des Verlaufs hin, wenn bestimmte Viren beteiligt sind.

„Neueste Untersuchungen zeigen, dass manche Viren insulinähnliche Eiweiße oder auch Hormone produzieren können, die in den Stoffwechsel des betroffenen Organismus eingreifen“, sagt Professor Dr. med. Stefan Bornstein, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III sowie des Zentrums für Innere Medizin am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden. Neben der Stoffwechselregulation scheinen diese „viralen Hormone“ auch den Zellumsatz und den Zelltod zu beeinflussen. „Wir haben aber auch gesehen, dass antivirale Medikamente das Auftreten eines Diabetes mellitus Typ 1 durch den Erhalt der Funktion der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse verzögern können“, fügt er hinzu. Umgekehrt habe sich gezeigt, dass klassische Medikamente, die zur Behandlung hormoneller Erkrankungen eingesetzt werden, die Anfälligkeit des Organismus für Infektionen verringern können – etwa antidiabetische Präparate wie DPP-4- Hemmer oder Metformin, so der Endokrinologe und Diabetologe.

 „Man kann mittlerweile von einer endokrinen Virologie und sogar von dem Virom als einer zusätzlichen, hormonell stoffwechselaktiven Drüse sprechen“, so Bornstein, der 2024 die Berthold-Medaille der DGE erhält. Doch viele Fragen sind noch offen: „Wir brauchen deshalb ein besseres Verständnis der Wechselwirkung der Hormonsysteme mit infektiösen Erregern – von den Grundlagen bis zur therapeutischen Anwendung“, sagt er.

So gehe es etwa darum, die Erkenntnisse für moderne therapeutische Ansätze zu nutzen: „Wenn Infektionskrankheiten Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten auslösen können, bedeutet es, dass wir durch Impfprogramme möglicherweise das Auftreten von häufigen Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes und dem metabolischen Syndrom verhindern können“, zeigt er Perspektiven eines neuen Forschungsgebiets auf.

„Die endokrine Infektiologie von der Evolution bis zur Klinik“ ist deshalb auch Thema seiner Keynote-Lecture in seiner Rolle als Empfänger der Berthold-Medaille 2024 der DGE. Die Berthold-Medaille ist die höchste Auszeichnung der Fachgesellschaft für führende Forscherinnen und Forscher, die sich auf dem Gebiet der Hormonforschung verdient gemacht haben. Sie wird jährlich auf dem Jahreskongress der DGE vergeben.

Professor Dr. med. Stephan Petersenn, Mediensprecher der DGE aus Hamburg, sieht in diesen Forschungsarbeiten einen Beleg für die enge Verzahnung der verschiedenen internistischen Fachgebiete. „Trotz der zunehmenden Spezialisierung und Wissensverdichtung auch in der Endokrinologie wird in diesen Arbeiten die Notwendigkeit deutlich, über den Tellerrand zu schauen und den Organismus nicht nur durch die Brille der eigenen Expertise zu betrachten. Die Interaktion der menschlichen Organe untereinander und mit der Umwelt muss wieder mehr, im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen, in den Vordergrund rücken.“

„Ich freue mich sehr über die Vergabe der Berthold-Medaille an Professor Bornstein, weil damit ein Endokrinologe und Diabetologe ausgezeichnet wird, der sich mit seinem erfolgreichen wissenschaftlichen Engagement um die Aufklärung der Wechselwirkungen zwischen Hormonen und dem Immunsystem sehr verdient gemacht hat und innovative Therapieansätze für die Patientenbetreuung entwickeln konnte“, ergänzt Professor Dr. med. Holger Willenberg, Leiter der Sektion Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten, Universitätsmedizin Rostock und Kongresspräsident DGE 2024.

Terminhinweis

Berthold Lecture: „Die endokrine Infektiologie von der Evolution bis zur Klinik“, Stefan R. Bornstein (Dresden), Donnerstag, 7.3.2024, 9:30 bis 10:30 Uhr, 67. Deutscher Kongress für Endokrinologie der DGE, Stadthalle, Rostock

Quelle

Mechanisms and clinical relevance of the bidirectional relationship of viral infections with metabolic diseases, Nikolaos Perakakis, Hani Harb, Benjamin G Hale, Zsuzsanna Varga, Charlotte Steenblock, Waldemar Kanczkowski, Vasileia Ismini Alexaki, Barbara Ludwig, Peter Mirtschi, Michele Solimena, Nicole Toepfner, Sebastian Zeissig, Manuel Gado, Irene Alma Abela, Felix Beuschlein, Giatgen A Spinas, Claudia Cavelti-Weder, Philipp A Gerber, Michael Huber, Alexandra Trkola, Milo A Puhan, Wendy Wei-Lynn Wong, Andreas Linkermann, Viswanathan Mohan, Hendrik Lehnert, Peter Nawroth, Triantafyllos Chavakis, Geltrude Mingrone, Christian Wolfrum, Annelies S Zinkernagel, Stefan R Bornstein; The Lancet, Diabetes & Endocinology, REVIEW| VOLUME 11, ISSUE 9, P675-693, SEPTEMBER 2023, Published:July 28, 2023DOI:https://doi.org/10.1016/S2213-8587(23)00154-7

Interessenkonflikte

Professor Stefan Bornstein, Professor Stephan Petersenn und Professor Holger Willenberg geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Kontakt für Journalisten

Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Prof. Dr. med. Stephan Petersenn (Mediensprecher)
Dr. Adelheid Liebendörfer
Postfach 30 11 20
D-70451 Stuttgart
Telefon: 0711 89 31-173
Telefax: 0711 89 31-167

www.endokrinologie.net
www.dge2024.de


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